Das Land der Uiguren

Nach einer Seminararbeit von
Margot Sieg-Baghdadli, 2015

 

Das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang ist viermal so groß wie Deutschland, doch der Großteil seiner Fläche sind Wüste und unbewohnbare Hochgebirge. Das Tarimbecken mit der Taklamakan, der zweitgrößten Sandwüste der Welt, ist umgeben von einigen der höchsten Gebirgsketten dieser Erde: dem Tianshan im Norden, Hindukusch, Pamir und Karakorum im Westen und dem Kunlun-Gebirge im Süden. Auch das Dsungarische Becken im Norden besteht großenteils aus Wüste. Die Oasen um die Taklamakan herum sind jedoch außerordentlich fruchtbar. So fruchtbar, dass sie Obst, Gemüse und Baumwolle nach ganz China liefern können.

Das Problem Xinjiangs ist allerdings, dass hier zwei unterschiedliche ethische Konzepte aufeinanderprallen: die chinesische Strategie der Modernisierung und Herrschaft über die Natur auf der einen und die traditionelle Ethik der Uiguren auf der anderen Seite. Diese Ethik hatte einst dafür gesorgt, dass die fragilen Ökosysteme der Oasenwirtschaft nicht übernutzt wurden. Sie kennt kein Konzept für den Kampf gegen die Natur, hat aber eine Fülle von Regeln zum Umgang mit Wasser.

Wasser ist das A und O der Landwirtschaft, ganz besonders natürlich in einer Wüstenregion. In der Turpan-Oase zum Beispiel fallen im Jahr nur rund 16 mm Niederschlag – das reicht nicht hin und nicht her. Deshalb hatten die Bewohner schon vor mehr als zweitausend Jahren aus Persien ein gut funktionierendes Bewässerungssystem eingeführt: Karez. Dies sind unterirdische Kanäle, durch die Schmelz- und Quellwasser aus den Bergen vor Verdunstung geschützt in die Oase geleitet wird. Senkrechte Schächte in regelmäßigen Abständen ermöglichten die Wartung der Kanäle und dienten gleichzeitig als Brunnen. Es soll rund 5000 Kilometer solcher Karez-Kanäle gegeben haben.

Es gibt sie noch heute, aber viele sind versandet, weil ungenutzt. Denn als nach Gründung der Volksrepublik Han-Chinesen massiv nach Xinjiang umgesiedelt wurden, um das Land wirtschaftlich intensiver zu nutzen, reichte das Wasser des Karez-Systems nicht mehr aus. Die Oasengebiete sollten mehr Ertrag bringen. Es wurden große Militärfarmen angelegt (später bekannt als Xinjiang Production and Construction Corps, XPCC oder Bingtuan), die einerseits die Versorgung der Volksbefreiungsarmee gewährleisten und andererseits die Integrität und Stabilität dieser abgelegenen Grenzregion und ihre politische und ökonomische Entwicklung überwachen sollten. Hier mussten zu Anfang die früheren Guomindang-Soldaten unter erbärmlichen Umständen arbeiten. Sie waren nicht freiwillig hier, sie litten bittere Not, aber als Teil der militärischen und politischen Strukturen waren sie bei der einheimischen Bevölkerung, der sie das beste Land wegnahmen, verhasst.

Diese Bingtuans sind den Uiguren auch heute ein Dorn im Auge, denn sie haben sich enorm ausgebreitet. Riesige Farmen produzieren, was China braucht, und das ist nicht nur Gemüse und Obst, sondern vor allem Baumwolle. Der Baumwollanbau ist in Trockengebieten sehr verbreitet, weil die Pflanzen warmes Klima brauchen und Regen ihre Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge fördert. Deshalb wurde in den 1990er Jahren der Baumwollanbau in Xinjiang forciert, nachdem die zentralchinesischen Anbaugebiete von Schädlingsepidemien heimgesucht worden waren. Doch um ein Kilogramm Baumwolle zu erzeugen, braucht man 10 000 bis 17 000 Liter Wasser.[1] Das überfordert den Wasserhaushalt der Region und als Folge wird das Grundwasser, selbst das fossile Grundwasser, das sich nicht erneuern kann, angezapft. Der Grundwasserspiegel sinkt beständig, stellenweise bereits auf unter 200 Meter, so dass die natürliche Vegetation im Tarimgebiet gefährdet ist. Immer weitere Flächen werden künstlich bewässert, immer mehr einheimische Bauern- und Hirtenfamilien verlieren ihre Existenzgrundlage. Das Wasser wird ihnen von den agroindustriellen Betrieben der zugewanderten Han-Chinesen buchstäblich abgegraben, denn die können sich das Abteufen von Brunnen in größere Tiefen leisten oder sie verlegen ihren Betrieb und bewirtschaften neues Land, wenn der Boden ausgelaugt oder versalzt ist. Weite Flächen wurden bereits als unproduktiv aufgegeben. Viele uigurische Bauernfamilien mussten deshalb ihre seit Generationen betriebenen Höfe verlassen.

Neben der Versalzung – entlang des Tarim sollen 35-41 % der Ackerflächen durch unsachgemäße Bewässerung  von Versalzungsproblemen betroffen sein[2]zerstören auch Kunstdünger, vor allem Stickstoffdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel die Fruchtbarkeit des Bodens.

Eine weitere Gefahr ist, dass die Auenwälder am Tarim und die Flora der steppenartigen Randgebiete, von denen die Wüste umgeben und quasi festgehalten wird, langsam zugrunde gehen, weil selbst die langen Wurzeln der Pflanzen nicht mehr das Wasser erreichen.

Die Wüste breitet sich aus. Projekte, dies zu verhindern, gibt es, doch mit der Umsetzung hapert es.

Schon seit den 1980er Jahren arbeiten deutsche und chinesische Wissenschaftler gemeinsam an dem Projekt SuMaRiO (Sustainable Management of River Oases along the Tarim River)[3], um Lösungen für einen nachhaltigen Umgang mit Land und Wasser zu suchen. Dabei geht es zum Beispiel um den Erhalt der Auenwälder am Tarim oder um Untersuchungen, inwieweit die Fasern anderer Pflanzen[4] wirtschaftlich genutzt werden könnten, und ob ihr Anbau an Stelle von Baumwolle dem Ökosystem helfen könnte, ohne der lokalen Wirtschaft zu schaden.

Nicht weniger verheerend als die intensive Landwirtschaft sind der Abbau von Bodenschätzen und die gewaltigen Industrieanlagen für den Wasserhaushalt Xinjiangs. Sie verbrauchen bedenkenlos die wertvollen fossilen Grundwasserreserven, bringen Verwüstung und Vergiftung der Landschaft.

Hinzu kommen Flussregulierungen, Staudammbauten, künstliche Wasserumleitungen, Brennholzentnahme sowie der enorm gestiegene Wasserverbrauch durch die massive Zuwanderung aus Zentralchina. Aber nicht nur, dass die Einwohner selbst Wasser verbrauchen, auch die Städte werden nach dem Vorbild ostchinesischer Städte modernisiert. Es werden breite, vielspurige Straßen angelegt, die nicht mehr von den einheimischen Pappeln und schmalen Wassergräben gesäumt sind, sondern von nicht angepassten Baumarten. Grünanlagen bekommen als Symbol der Weltkultur großzügige Rasenflächen und Blumenbeete, die Tag und Nacht bewässert werden müssen. Exotische Bäume brauchen regelmäßige Duschen, weil der Wüstenstaub auf ihren Blättern sonst die Photosynthese verhindern würde.

Fazit

Die Natur wird in ganz China für Fortschritt und Profit geschunden, doch in Xinjiang ist dies besonders problematisch, weil es in der Regel die Han-chinesischen Behörden und Unternehmer sind, die das ökologische Gleichgewicht zerstören, welches die uigurische Bevölkerung jahrhundertelang zu wahren gewusst hat.

 

Siehe auchDas Land im Bild



[2] Fan Zili (Hg.): Research on the Impacts of Land Utilization to Ecology and Environment in Xinjiang, 1996

[3] http://www.sumario.de/

Daran beteiligt sind die Xinjiang University in Urumchi und Arbeitsgruppen der Universitäten Greifswald, Gießen, Marburg, Göttingen, Eichstätt sowie der TU Berlin.

[4] Apocynum pictum und Apocynum venetum