Basar

(Dieser Artikel wurde 2016 geschrieben. Ob die Situation nach der politischen "Umerziehung" der Uiguren ab 2017  noch die gleiche ist, ist schwer zu sagen.)

 ---

Wenn man über die Uiguren erzählen will oder eine Reise nach Xinjiang plant, dann kommt man nicht an dem Thema Basar vorbei, denn der Basar ist nicht nur ein Marktplatz zum Kaufen und Verkaufen von Waren, sondern hat auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion, zumindest für diejenigen, die auf dem Lande und in kleineren Städten leben, und das ist die ganz große Mehrheit der Uiguren.

Als Erstes wird man wahrscheinlich an den Sonntagsmarkt von Kashgar denken, der seit Jahrhunderten berühmt ist und in jedem Reiseführer erwähnt wird. Aber noch interessanter, oder sagen wir besser: noch charmanter in ihrer lebensnahen Natürlichkeit sind die Basare, die einmal wöchentlich in den Dörfern und kleinen Städten abgehalten werden.

Kommen Sie doch einmal mit: Wir machen einen Rundgang und gucken es uns an.

 

Eine kleine Stadt in der Hotan-Oase. Heute ist Basar-Tag und von überall her kommen Leute, mit Eselkarren, knatternden Gefährten oder zu Fuß mit einer Kuh an der Leine. Denn neben dem eigentlichen Basar findet auch der Viehmarkt statt – eine Sache für Männer. Ein wichtiges Ereignis, nicht nur für diejenigen, die ein paar Schafe, eine Kuh oder einen Esel zu kaufen oder zu verkaufen haben, sondern für alle, die wissen wollen, was es an Neuigkeiten gibt. Und da sind wir auch schon: Im Schatten einiger Bäume stehen sie mit ihren Tieren, sehen sich um, führen fachkundige Gespräche oder schauen zu, wie jemand ein Bündel Geldscheine zählt. Es ist wichtig, dabei zu sein, denn man gehört zu einer Gemeinschaft und es ist gut, dazuzugehören.

Die Esel gefallen mir. Ich finde, sie sehen sehr lieb aus, obwohl ich natürlich weiß, dass Esel störrisch sein können. Aber diese nicht. Diese warten geduldig mit ihrem Karrengespann und spielen mit den großen Ohren. Die Kühe stehen einfach nur da, die sind nicht so interessant. Aber die Schafe! „Wie sehen die denn aus?“, frage ich Nuri, meinen uigurischen Begleiter, entsetzt. „Sind die krank?“ Aber nein, werde ich aufgeklärt, das sind die allerbesten Schafe, die es auf der Welt gibt, nämlich Fettschwanzschafe, und sie sind gerade deshalb so wertvoll und teuer, weil das Fett an ihrem unförmigen Popo außerordentlich wohlschmeckend und gesund sein soll. Nun, das mag ja sein, aber ich musste neulich ein Kebab essen, das aus mehr Fett als Fleisch bestand, und das fand ich gar nicht so gut. Aber ich bin ja auch keine Uigurin... Mir gefallen besser die niedlichen, kleinen Ziegen mit ihren zwei Hörnchen und einem Wuschelpony auf dem Kopf.

Jetzt gehen wir weiter zum richtigen Basar. Als Erstes zeigt mir Nuri einen „Frauenparkplatz“. Hier können Frauen (und Esel) an einem schattigen Plätzchen auf ihre Männer warten, die erfahrungsgemäß auf dem Viehmarkt viel mehr Zeit brauchen als sie selbst beim Gemüse- oder Stoffeinkauf. Wir werden herzlich eingeladen zu bleiben, aber ausruhen wollen wir uns noch nicht und mit den wenigen uigurischen Sätzen, die ich kenne, würde ich die Neugier der wartenden Damen sowieso nicht befriedigen können. Gucken wir uns lieber die Stände mit allerlei Eisenwaren und Eselkarren-zubehör an. Und danach das Obst und Gemüse, das auf Karren oder auf Decken am Boden angeboten wird.

Ich mache viele Fotos, vor allem von den Menschen, denn die Menschen sind für mich das Allerschönste hier. Ich meine damit nicht, dass sie alle wunderschön aussehen, aber die Menschen sind es ja, die das Bild so lebendig machen, die die Atmosphäre prägen. Für mich strahlen sie eine gewisse Fremdheit aus, die von einer Welt erzählt, die ganz anders ist als meine Welt. Menschen, die fröhlich sind oder ernst, die geduldig warten und auf einen kleinen Verdienst hoffen. In ihren Gesichtern spiegelt sich ein Leben, das ich nicht kenne. Jedes erzählt eine andere Geschichte: von einem harten, genügsamen Leben als Bauer, sonnenverbrannte Haut und tiefe Falten; warme, freundliche Augen, die mich neugierig ansehen; kichernde Mädchen, naseweise Jungs, die ein paar englische Wörter kennen, geschäftige Händler und Köche. Jeder von ihnen hat ganz andere Gedanken im Kopf als ich, sie haben einen anderen Lebenshintergrund, andere Erfahrungen und andere Erwartungen. Viele werden keine Ahnung haben, wo und wie Deutschland ist. Warum jemand zu ihnen kommt, um sie zu fotografieren. Wozu? Die einen mögen‘s, finden es lustig, lachen und wollen sich im Display der Kamera sehen. Andere nicht. Die Joghurtverkäuferinnen mögen es gar nicht. Sie haben ihre Gesichter sowieso schon mehr verhüllt, als eigentlich erlaubt ist, und nun wenden sie sich auch noch schamhaft zur Seite. Entschuldigung, tut mir leid! Wir gehen schnell weiter und bestaunen ein gebratenes Lamm, das gerade zerlegt wird. Es ist Essenszeit! Aber ich glaube, auf einem Basar ist immer Essenszeit... Kebab mögen Uiguren ohnehin zu jeder Tageszeit und Grillstände gibt es nicht nur auf einem Basar, aber hier ist auch alles andere zu haben, was einen hungrigen Bauch erfreuen kann. Es duftet überall. Das würzige Kebab scheint wirklich gut zu sein, das muss ich zugeben, aber die meisten Männer versammeln sich um das gebratene Lamm. Frauen sitzen an einem Tisch und essen Suppe oder Salat, Jungs naschen Nudeln. Mädchen lächeln mich an und knabbern an ihren Süßigkeiten.

Als wir fast alles gesehen haben, entdecken wir den Barbier: Nahe am Ausgang, unter einer Reihe schattenspendender Pappeln, sitzt eine Reihe älterer Herren, die sich entspannt rasieren oder frisieren lassen. Das sieht nett aus, finde ich, ein bisschen heimelig, irgendwie rührend. Doch da erschallt plötzlich von irgendwoher eine blecherne Stimme. Ich schrecke zusammen und sehe mich nach allen Seiten um, bis ich die Quelle gefunden habe: ein Lautsprecher hoch über den Bäumen. Es nimmt gar kein Ende, es hallt die ganze Straße entlang. „Was sagen sie?“, frage ich Nuri. „Propaganda!“ Er spuckt das Wort geradezu aus und beschleunigt seine Schritte, als gäbe es ein Entkommen. Das gibt es aber nicht, denn wir sollen ja nicht vergessen, dass wir in China sind. Obwohl China hier ebenso weit weg zu sein scheint wie Deutschland. Hier sind wir im Land der Uiguren und daran können auch Propagandasprüche nichts ändern.

 

 Siehe hierzu: Basar im Bild