Die Seidenstraße

 

Die Römer glaubten, Seide wachse an Bäumen.

Eine chinesische Sage erzählt, dass die Gemahlin des mythischen Gelben Kaisers[1] einer Seidenraupe beim Spinnen ihres Kokons zusah und, fasziniert von der Feinheit des Fadens, ihn wieder abwickelte und zu Stoff verarbeitete. Oder aber ihr war, unter einem Maulbeerbaum sitzend, ein Kokon in die Teeschale gefallen und sie hatte beobachtet, wie er sich im heißen Tee zu einem langen, seidenen Faden auflöste.

Sicher ist, dass die Chinesen Seide schon vor mehreren Tausend Jahren kannten. In einem Grab fand man ein 4800 Jahre altes Gewebe und im 3. Jahrhundert v. Chr. wurden Seidenstoffe bereits in florierenden Manufakturen für den Export hergestellt, auf hochentwickelten Webstühlen, in schillernden Farben und mit fantasievollen Mustern. Als die Römer 53 v. Chr. am Euphrat gegen die Parther kämpften, sahen sie, wie ihre Feinde plötzlich riesige, weiße Banner entfalteten, die im gleißenden Sonnenlicht so furchtbar blendeten, dass die römischen Legionen in Panik die Flucht ergriffen.[2] So etwas nie zuvor Gesehenes machte die Römer neugierig. Sie fanden bald heraus, woher die seltsamen Stoffe kamen, und es dauerte nicht lange, da war chinesische Seide auch schon zu einem der begehrtesten und teuersten Handelsgüter damaliger Zeit geworden. Als Kleidung war sie so leicht und duftig, dass Kaiser Tiberius sie als Zeichen von Dekadenz betrachtete und im Jahre 14 v. Chr. Männern verbot, sich in seidene Gewänder zu kleiden. Und Plinius und Seneca[3] wetterten gegen die schamlosen Damen, die sich in derartigen Kleidern nahezu nackt der Gesellschaft zeigten. Doch weder Mahnungen noch der horrende Preis konnten jahrhundertelang die Nachfrage aufhalten. Seide blieb eine der wichtigsten Waren, die aus China nach Europa gebracht wurden, und deshalb gab der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen dem Netz von Handelswegen, das die frühere chinesische Kaiserstadt Xi’an mit dem Mittelmeer verband, im 19. Jahrhundert den Namen „Seidenstraße“.

Seit wann sie durchgehend zwischen dem Mittelmeer und China genutzt wurde, ist nicht bekannt, aber Herodot beschrieb um 430 v. Chr. den westlichen Teil bis zum Tarimbecken, und obwohl seine Kenntnisse weitgehend auf mündlichen Berichten beruhten und mitunter die historische Realität mit mythischen Vorstellungen verschmolz, waren sie doch recht genau. Den östlichen Teil schilderte der kaiserliche Gesandte Zhang Qian, der 138 und 115 v. Chr. bis ins Fergana-Tal reiste. Daher weiß man also, dass die Seidenstraße seit mehr als zweitausend Jahren bekannt ist und dass sie auch durch das Land der Uiguren führte. Um die Wüste Taklamakan zu umgehen, teilte sie sich bei Dunhuang am Ausgang des Hexi-Korridors in eine nördliche und eine südliche Route, die im Westen bei Kashgar wieder aufeinandertrafen.

Ab dem 1. Jahrhundert kam der Buddhismus über die Seidenstraße nach China und in den darauffolgenden Jahrhunderten pilgerten etliche chinesische Mönche nach Indien, um sich fortzubilden. Faxian lieferte im Jahre 399 n. Chr. einen ausführlichen Bericht über seine Reise auf der Südroute der Seidenstraße bis nach Indien und Xuanzang beschrieb im 7. Jahrhundert die Nordroute.

Aus dem späteren Mittelalter gibt es einige Berichte christlicher Mönche, die über die Seidenstraße nach China reisten, und auch Marco Polo hinterließ eine ausführliche Beschreibung seines Weges, obwohl man sich heute nicht ganz sicher ist, ob er wirklich alles mit eigenen Augen gesehen hat. Sicher ist aber, dass zur Zeit der Mongolenherrschaft Infrastruktur, Versorgungseinrichtungen, Kurierdienste usw. vorbildlich durchorganisiert waren. Die Ming-Dynastie, die ab dem 14. Jahrhundert regierte, schenkte den Außenhandelsbeziehungen weniger Interesse, und als die Seewege entdeckt wurden, verlor die Seidenstraße ihre Bedeutung.

Erst ein halbes Jahrtausend später rückte sie wieder in den Fokus des Interesses: Westliche Forscher – als einer der Ersten der Schwede Sven Hedin – begannen die alten Stätten um die Wüste Taklamakan zu erforschen und nach archäologischen Sensationen zu suchen. Die fanden sie in der Tat und seitdem hat fast jeder in der westlichen Welt schon einmal von der Seidenstraße gehört. Nicht so die Uiguren, die in den Dörfern und Städten jener Gegend zu Hause sind. Kaum einer weiß von der wichtigen Rolle, die ihr Land einst für Handel und Wissensaustausch spielte, oder von der kunsthistorischen Bedeutung der Wandmalereien, die in den Höhlen ihrer Heimat gefunden wurden. Die große Vergangenheit ist hinter der großen kommunistischen Gegenwart verblasst. Heute geht es um politischen Einfluss und wirtschaftliche Macht. Präsident Xi will eine neue Seidenstraße bauen, um die Handelsverbindungen nach Europa wiederzubeleben, und niemand fragt, wer dabei auf der Strecke bleibt. Aber – wenn wir ehrlich sind – war es nicht vielleicht auch schon vor tausend oder zweitausend Jahren so? Es ist leicht, die Vergangenheit zu romantisieren, aber vielleicht war sie ja gar nicht romantisch. Den Kaufleuten ging es auch damals ums Geldverdienen und wer weiß, welche Tricks und Tücken sie anwandten, um ihre Konkurrenten auszuschalten? Und wer weiß, ob die Menschen auf dem Lande etwas davon hatten, wenn reiche Kaufleute immer reicher wurden? Oder ob die fremden Religionen aus Überzeugung oder unter Zwang angenommen wurden?

Vieles können wir heute nicht wissen, doch dass eine Reise über die Seidenstraße eine äußerst unromantische Strapaze gewesen sein muss, das ist sicher. Selbst wenn die Karawanen nur bestimmte Teilstrecken übernahmen, waren sie wochen- oder monatelang unterwegs. Es gab Sandstürme, sengende Hitze und eisige Nächte, gefährliche Gebirgspässe, Eis und Schnee, Wüstensand, Durst, Räuber. In den chinesischen Städten gab es schon im frühen Kaiserreich breite Straßen, aber die endeten kurz außerhalb der Stadtmauern und in Wüstengebieten gab es überhaupt keine Befestigungen. Die Streckenführung war nur für kundige Führer erkennbar oder – wie der Mönch Faxian sagte – man musste sich an den Gebeinen Toter orientieren.

Trampeltiere waren das wichtigste Lasttier, weil sie sehr genügsam sind, für lange Zeit auf Vorrat trinken, Kälte und Hitze ertragen können. Ihre Sohlen haben Polster zwischen den Zehen, so dass sie nicht im Sand einsinken, und die Augen können sie mit ihren langen Wimpern verschließen, wenn ein Sandsturm wütet. Auch Esel waren wichtig, im Gebirge Maulesel und Maultiere oder Yaks. Und zur Not mussten die Menschen selbst mit anpacken und das Gepäck mit Tragstangen über enge Steigen in den Bergen weiterschaffen. Wenn die Händler dann eine Oase erreicht hatten, fanden sie in großen Karawansereien alles, was sie brauchten: Erholung und Proviant, kundige Führer, Dolmetscher und jede Menge Informationen.[4]

Die Waren

Welche Waren wurden über die Seidenstraße transportiert? Natürlich Seide, und zwar schon vor der Zeitenwende. Auch Papier war ein kostbares Handelsgut, ebenso feine Tonwaren (echtes Porzellan vermutlich erst ab der Ming-Dynastie), Lack, Spiegel, Gewürze, Zimtrinde, Jade und Pelze, später auch Tee. Die Europäer lernten von den Chinesen, wie man Schießpulver herstellt, ab dem 12. Jahrhundert auch Schusswaffen und Kompass, was beides später in Europa weiterentwickelt wurde.

In China waren dagegen Gold und andere Edelmetalle, Edelsteine, Wolle und Leinen, Korallen und Elfenbein, Amber und Glas aus dem Westen sehr beliebt. Mit technischen Erfindungen konnte Europa China damals nicht beeindrucken, wohl aber fanden mehrere Religionen über die Seidenstraße ihren Weg nach Osten: der Buddhismus, das nestorianische Christentum, Manichäismus und Zoroastrismus, Judentum, zuletzt der Islam.

Die Kunst

Religionen haben Künstler schon immer zu großem Schaffen inspiriert. Im heutigen Xinjiang sind es vor allem die Wandmalereien, mit denen zwischen dem 4. und 11. Jahrhundert buddhistische und manichäische Kultstätten und Felshöhlen ausgemalt wurden. Als der Islam kam, endete diese Tradition. Vieles wurde vom Wüstensand verschüttet und vergessen, bis Anfang des 20. Jahrhunderts Archäologen aus aller Welt kamen und die alten Stätten wieder ausgruben.

Die Wandmalereien zeigen vor allem religiöse Bilder, häufig Buddha und Bilder aus seinem Leben, aber auch Szenen, die Einblick in das Alltagsleben geben, die sozialen Bedingungen und historischen Zusammenhänge schildern. Interessant ist nicht nur für Kunsthistoriker, wie Elemente verschiedener Kulturen in diese Bilder einflossen und miteinander zu einer neuen, harmonischen Kunst verschmolzen, die deutlich zeigt, wie wichtig und umfassend der Austausch über die Seidenstraße war. In den Bildern finden sich Einflüsse aus Griechenland und Gandhara, aus Persien, Indien und China. Doch nicht nur die Kunst erzählt von der multikulturellen Vergangenheit, sondern auch Schriftdokumente auf Bambusstäben, Seide oder Papier, die in vielen unterschiedlichen Sprachen und Schriften geschrieben wurden und Aufschluss über das Leben, Denken, Wissen und Glauben jener Zeit geben.

Aus Deutschland waren es Albert Grünwedel und Albert von Le Coq vom Völkerkundemuseum Berlin, die vier Turfan-Expeditionen (1902-1914) unternahmen und zahlreiche Kunstschätze und Schriftdokumente mitbrachten. Vieles wurde restauriert und ist heute im Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem zu sehen. Obwohl auch andere europäische und japanische Archäologen Kunst aus den alten Stätten der Seidenstraße mit in ihre Heimatländer genommen haben, gibt es noch immer vor Ort Höhlen zu erforschen und zu erhalten, auch in Zusammenarbeit mit deutschen Fachleuten.

 

Zum Thema Kunst finden sich detaillierte Informationen in:

-        Caren Dreyer: Abenteuer Seidenstraße: Die Berliner Turfan-Expeditionen 1902-1914

-        Caren Dreyer: Albert Grünwedel: Zeichnungen und Bilder von der Seidenstraße im Museum für Asiatische Kunst

-       Toralf Gabsch: Auf Grünwedels Spuren: Restaurierung und Forschung an zentralasiatischen Wandmalereien

 

Und zum Projekt Neue Seidenstraße:

http://www.n-tv.de/wirtschaft/China-baut-neue-Seidenstrasse-article16166021.html

 



[1] vermutlich um 2600 v. Chr.

[2] Peter Hopkirk: Foreign Devils on the Silk Road. The Search for Lost Treasures of Central Asia. Oxford University Press, 1980, S.20

[3] Thomas O. Höllmann: Die Seidenstraße. C.H. Beck, 2007

[4] Thomas O. Höllmann: Die Seidenstraße. Verlag C.H.Beck Wissen